Ein Gedankenexperiment
Stellen wir uns ein System vor, das aus zwei
Körpern, etwa einem Mutterplaneten und einen ihn umkreisenden, natürlichen
Satelliten, vor. Beide Objekte besitzen eine derart große Masse, dass sie in
der Hauptsache von ihrer eigenen Gravitationskraft zusammengehalten werden,
wobei die Masse des Planeten die des Satelliten überwiegt.
Sehen wir uns den
Satelliten etwas näher an. Auf diesen Körper wirkt also zuerst einmal seine
Eigenanziehung, die seine Materie auf ein möglichst kleines Volumen
zusammenzieht. Die Intensität dieser Gravitationskraft kann einen gewissen
„größten Wert“ nicht übersteigen und kann deshalb im Teil des Universums, der
durch unseren Satelliten ausgefüllt wird als eine Konstante betrachtet werden.
Da wir uns in einem
System mit zwei massiven Körpern befinden, ziehen sich diese beiden Objekte
gegenseitig an, genau wie es etwa die Erde und der Mond tun. Dadurch enstehen
an der Oberfläche der zwei Objekte Gezeitenkräfte, d.h. die Oberfläche des Satelliten
krümmt sich in Richtung des Mittelpunktes des Mutterplaneten und umgekehrt
(vgl. Special topic: Why the Moon always shows us the same face zum Thema
Gezeiten/tidal forces). Dies bedeutet, dass die Gezeitenkräfte unseren Satelliten
wie Teig durchkneten und an verschiedenen Stellen wahrlich „auseinander ziehen“,
also der Eigengravitation des Trabanten entgegenwirken.
Im Gegensatz zur
Eigenanziehungskraft des Satelliten kann die Gezeitenkraft, die auf ihn wirkt
nicht als ein konstanter Wert angesehen werden, da er neben den physikalischen
Parametern wie den Massen und Durchschnittsradien der beiden Körper (die
durchaus als konstant betrachtet werden dürfen) auch von der Entfernung
zwischen den beiden Objekten abhängt. Je näher sich Planet und Satellit stehen,
um so stärker sind die Auswirkungen der Gezeitenkräfte.
Das heißt, dass
falls wir den Satelliten immer näher an den Planeten heranrücken, die
Gezeitenkraft, die versucht ihn auseinanderziehen, immer stärker wird. Der
Satellit lässt sich allerdings nicht „Stücke zereissen“ solange seine eigene
Anziehungskraft stark genug ist, die Gezeitenwirkung zu kompensieren.
Irgendwann
erreichen wir aber einen Punkt, an dem beide Kräfte in einem Gleichgewicht
sind. Hier wird es nun kritisch: rücken wir unseren Satelliten nämlich jetzt
ein kleines Stück weiter in Richtung Planet, beginnt er sich in seine
Bestandteile zu zerlegen, da seine Gravitation es nicht mehr vermag gegen die
übermächtig gewordene „Zerstörungswut“ der Gezeitenkraft anzukämpfen.
Das eben
besprochene Gedankenexperiment unternahm u.a. auch der französische
Mathematiker Edouard Roche (1820 – 1883), dem es im Jahr 1848 gelang,
eine Formel[i]
herzuleiten, die es erlaubt die minimale Distanz zu berechnen, in der ein
Satellit seinen Mutterplaneten umkreisen kann, ohne Gefahr zu laufen, zerrissen
zu werden. Diese „minimale Bahn“ wird seither als „Roche’sche Grenze“
bezeichnet. Überschreiten der Grenze auf eigene Gefahr...
Zwei Beispiele
Astronomen haben
mittlerweile etliche Beobachtungen und Messungen unternommen, welche die
theoretischen Ergebnisse, untermauern. Die wohl anschaulichsten Beispiele
können in der unmittelbaren, kosmischen Nachbarschaft der Erde gefunden werden.
So bestehen die
Ringe des Saturns aus einer schier unermesslichen Anzahl von kleinen
Gesteinsbrocken, die dicht genug nebeneinanderliegen, um aus einiger Entfernung
den Eindruck eines zusammenhängenden Gebildes aufkommen zu lassen. Doch diese
losen Steine haben niemals die Chance sich zu einem größeren Mond
zusammenzuschließen, da sie sich innerhalb der vom Saturn vorgegebenen Roche’schen
Grenze befinden. Jede Ansammlung von genügend großer Masse in diesem Bereich
würde sofort von den vorherrschenden Gezeitenkräften wieder „auseinander
gesprengt“ werden.
Einen weiteren
eindrucksvollen, optischen Beweis lieferte der Komet Shoemaker-Levy 9 im Jahre
1994. Der Haarstern wurde vom größten Planeten des Sonnensystems eingefangen
und in eine Spiralbahn mit Entstation Jupiteratmosphäre gezwängt. Als er sich
innerhalb der Roch’schen Grenze befand, zerbrach er unter den ungeheuren
Kräften in über 20 Fragmente, die im Juli jenes Jahres mit dem dem Jupiter
kollidierten und gigantische Impakte verursachten.
Eine Frage zum Schluss
Abschließend stellt sich jedoch noch eine
Frage: „Wie ist es möglich, dass z.B. die Gesteinsbrocken, die die Saturnringe
bilden, oder aber künstliche Erdsatelliten, die sich allesamt innerhalb der
Roche’schen Grenze um unseren Planeten bewegen, nicht zu Staub „zerrieben“
werden?
Nun, die Erklärung
liegt in der Definition der Roche’schen Grenze. Das Phänomen des Zerrissenwerdens
trifft für Körper zu, die (fast) ausschließlich aufgrund ihrer Eigengravitation
zusammengehalten werden. Bei kleineren Körpern mit sehr geringen Massen, wie
eben den Gesteinsbrocken in den Saturnringen oder den künstlichen Satelliten,
spielt die Anziehungskraft nur eine durchaus vernachlässigbare Rolle für die
Stabilität des Objektes.
Es sind in diesen
Fällen eher die im mikroskopischem Bereich sehr viel stärkeren Bindungskräfte,
die zwischen den einzelnen Atomen und Molekülen wirken, aus denen die Materie
besteht, welche diese Aufgabe übernehmen. Und diese Wechselwirkungen sind
selbst so nahe am Mutterplaneten immer noch stark genug, um den Gezeitenkräften
die Stirn zu bieten.
-----------------
[i]Die Roche’sche Formel lautet , wobei A den Radius der
Roche’schen Grenze bezeichnet. bzw. sind der Radius bzw. die Dichte des
Mutterplaneten, steht
für die Dichte des Satelliten.
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Tom is currently studying math at the Uni Trier
AAL member since 1996 Special interests: our solar system and science history in general
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